Go-Live einer Materialflusssteuerung - und warum die größten Probleme selten technisch sind

5.12.2025

Wenn ein MFS live geht, denken viele zuerst an alle möglichen Probleme seitens Technik: das SAP spielt verrückt, die Maschinen laufen nicht wie sie sollen und von Verbindungsproblemen brauche ich gar nicht erst anfangen.
Was aber, wenn ein großer Teil der Probleme schon sehr viel früher beginnt, als noch keine Technik, sondern nur der Mensch involviert war?


1. Die Illusion der perfekten Vorbereitung

In Projekten gibt es oft diesen Moment, in dem alle überzeugt sind:
„Wir haben alles getestet. Es sollte laufen.“

Und dann kommt der Go-Live.
Plötzlich verhält sich das reale Lager anders als das Testsystem. Plötzlich reagiert eine SPS eine Spur langsamer. Plötzlich erzeugt ein Bediener eine Situation, die niemand bedacht hat.

Nicht, weil jemand schlecht gearbeitet hat.
Sondern weil echte Systeme erst unter realem Druck ihre Wahrheit zeigen.

Ein Lager ist kein Labor. Es ist ein Organismus.


2. Fehlentscheidungen entstehen nicht im Code - sondern im Kopf

Viele Fehler entstehen nicht, weil ein Parameter falsch gesetzt wurde, sondern weil Menschen im Stress falsche Annahmen treffen:
- „Wir öffnen das Lager früher, das wird schon gehen.“
- „Die Stammdaten ziehen wir später nach.“
- „Das Handling wissen die Kollegen schon.“

Das klingt harmlos - ist es aber nicht.
Ein MFS ist gnadenlos ehrlich: Jede Unklarheit zeigt sich sofort.

Denn ein System funktioniert nur so gut wie die Entscheidungen, die ihm vorausgehen.


3. Der wahre Engpass ist Kommunikation

Das größte Risiko eines Go-Lives ist nicht die Technik.
Es sind die Silos zwischen den Menschen:
- Technik spricht nicht mit Logistik
- Logistik nicht mit Produktion
- Produktion nicht mit IT

Ein MFS braucht aber genau das Gegenteil: absolute Klarheit, eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Bild.
Wo diese Klarheit fehlt, entstehen Missverständnisse - und Missverständnisse sind die häufigste Ursache für Störungen.


4. Angst - der unsichtbare Faktor in jedem Go-Live

Kaum jemand spricht darüber, aber jeder spürt es: Go-Lives erzeugen Druck.
Druck erzeugt Unsicherheit.
Unsicherheit erzeugt Verhalten, das niemand geplant hat.

Ein Bediener klickt zu früh.
Ein Teamlead gibt eine Freigabe, die er nicht erklären kann.
Ein Entwickler „fixxt schnell etwas“, weil die Situation es erzwingt.

Technisch gesehen passiert nichts Überraschendes.
Psychologisch gesehen passiert alles Erwartbare.
Denn Menschen handeln unter Unsicherheit nicht rational - sondern schützend.


5. Ein guter Go-Live braucht weniger Technik - und mehr Klarheit

Ein MFS-Go-Live läuft dann sauber, wenn drei Dinge gleichzeitig funktionieren:
1. Technische Stabilität - verständlich, dokumentiert, getestet.
2. Klare Verantwortlichkeiten - wer entscheidet was?
3. Ein Verständnis für die psychologischen Dynamiken - denn sie prägen den Ablauf stärker als jede SPS.

Der Job eines MFS-Beraters endet nicht im Monitoring.
Er beginnt dort, wo Menschen Entscheidungen treffen und Unsicherheiten spüren.


Fazit

Go-Lives scheitern selten an Technik. Sie scheitern daran, dass Technik auf Realität trifft - und Realität besteht aus Menschen.

Wer nur Code optimiert, wird überrascht.
Wer System und Psyche versteht, führt einen Go-Live - statt ihm hinterherzulaufen.

Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Kunst unserer Arbeit: Nicht nur Systeme stabil zu machen, sondern Menschen sicher durch Unsicherheit zu führen.